Schwester Filipa und der Politiker

(Foto: © Sebastian Winterscheid)

Welche Rolle spielen Werte in unserer Gesellschaft? Darüber diskutieren der Abgeordnete Marko Schiemann und Schwester Filipa vom Kloster St. Marienstern in Panschwitz-Kuckau

Was bedeuten Werte für Sie?
Schwester Filipa: Wir Menschen stehen jeden Tag an einer Kreuzung, an der wir uns entscheiden müssen. Werte helfen uns bei der Orientierung im Leben. Ich bin jetzt über 60 Jahre alt. Ungefähr vor 30 Jahren habe ich meine heutige Berufung entdeckt. Das war damals ein Prozess, in dem ich meine persönlichen Werte neu geordnet habe. Ich habe dann die Möglichkeit gewählt, die für mich die wertvollste war. Das habe ich bis heute nicht bereut. Ich hatte vorher viel Schweres erlebt. Aber mit Gottes Gnade und weil ich meine Werte hatte, konnte ich diese Zeiten überstehen.

Marko Schiemann: Werte sind für mich das Erreichen von Menschlichkeit unter Menschen. Viele Werte, die uns das ganze Leben begleiten, müssen von uns Menschen aktiv erlernt und dann auch aktiv gelebt werden. Dazu zählen für mich auch der Respekt, die Achtung und die Anerkennung der Arbeit und Leistungen von Menschen. Auch der Respekt vor der eigenen Arbeit. Am Ende kommt man immer zu dem Punkt: Das Menschsein ist der wichtigste Wert. Wenn aber die Menschheit auf Werte verzichtet, wird sie untergehen.

Marko Schiemann (obersorbisch Marko Jurij Šiman) ist Abgeordneter im Sächsischen Landtag für den Wahlkreis Bautzen 5. Er ist europapolitischer Sprecher der CDU-Fraktion und Vorsitzender des Verfassungsausschusses im Landtag. Der Vermessungsingenieur arbeitete nach dem Studium zunächst in Russland und der mongolischen Republik. Er ist verheiratet und Vater von vier Kindern (Foto: © Sebastian Winterscheid)

Was sind für Sie jeweils die wichtigsten Werte?
Schiemann: Das sind für mich Respekt vor sich selbst und an- deren, Fleiß und Disziplin. Das mögen für einige ältere Wörter sein, aber die gehören für mich einfach dazu. Mit Respekt vor sich selbst meine ich, dass man das, was man anderen geben kann, an sich selbst auch schätzen soll, ohne dass man zum Egoisten wird. Dass man diesen Respekt für andere auch sich selbst gibt und gleichzeitig in der Gemeinschaft versucht, etwas Gutes damit zu erreichen.

Schwester Filipa: Für mich stehen derzeit mehrere Werte im Vordergrund: Da ist einmal der Frieden. Dann die Menschenwürde. Ich wundere mich oft, wenn ich Nachrichten schauen will. Da höre ich von Menschen, die glauben, Schönheitsoperationen oder Tätowierungen würden ihr Leben besser machen. Diese Menschen folgen dann aber den Werten anderer – das macht sie doch nicht wertvoller! Gott hat uns so erschaffen, wie wir sind. Uns selbst und den eigenen Wert zu erkennen und dabei auch seine Schöpfung, auch die Natur, zu erhalten, ist ein weiterer, sehr wichtiger Wert für mich.

Schiemann: Ja, Frieden ist ein sehr wichtiger Wert – heute mehr denn je. Frieden beginnt damit, wie wir miteinander umgehen. In den letzten Jahren ist ein offener, ehrlicher und sachlicher Dialog mit Menschen, die andere Meinungen vertreten, immer schwieriger geworden. Dazu kommt, dass bewusst Falschmeldungen verbreitet werden, die Menschen verunsichern.

Schwester Filipa: Das nehme ich auch wahr. Herr Schiemann hat es schon angesprochen: Was mich auch stört, ist der fehlende Respekt. Menschen richten viel zu oft ihre Aufmerksamkeit auf das, was böse ist. Dass sind die Dinge, für die Medien viel Aufmerksamkeit bekommen und dann damit ihr Geld verdienen. Das Negative ist für viele Menschen spannend und attraktiv – nicht das, was das Gute ist. Ich sorge mich darum, dass extreme Meinungen und Bestrebungen immer mehr Bedeutung bekommen.

Sr. M. Filipa Pištěláková ist Nonne im Kloster St. Marienstern in Panschwitz-Kuckau. In dem Kloster leben und arbeiten aktuell zehn Zisterzienserinnen. Schwester Filipa bereitet als Sakristanin alle liturgischen Feiern vor. Als Infirmarin obliegt ihr außerdem die Hauptsorge um die kranken und alten Mitschwestern. Außerdem ist sie als Schneiderin tätig und hilft bei der Abfüllung des Likörs, der im Klosterladen zum Verkauf angeboten wird (Foto: © Sebastian Winterscheid)

Haben sich unsere gesellschaftlichen Werte zu unserem Nachteil entwickelt?
Schwester Filipa: Das empfinde ich nur zum Teil so. Heute spielt ja Naturschutz eine sehr große Rolle, das ist sehr positiv. Ein anderer Punkt ist die Selbstentwicklung, die eine große Bedeutung bekommen hat. Aber da fängt es schon an: Das verstehen viele Menschen falsch. Sie sind überfordert und eifern anderen nach. Ich soll doch aber danach suchen, was meine Fähigkeiten sind, um anderen Menschen oder der Gesellschaft etwas zu geben! Weil uns das Geben glücklich macht! Trotzdem sehe ich da Entwicklungen, die sind richtig gut.

Schiemann: Ich mache da auch viele gute Erfahrungen. Gestern habe ich mit einer Mutter gesprochen. Ihr Kind war in der Förderschule, die ich viele Jahre als Politiker begleitet habe. Die Mutter erzählte freudestrahlend, dass ihre Tochter schrittweise ihren Weg gegangen ist und jetzt in einem Krankenhaus für die Reinigung des OP-Saals zuständig ist. Eine große Verantwortung, auf die sie sehr stolz ist. Ich habe mich sehr darüber gefreut, was diese Familie erreicht hat und dass ich dabei helfen konnte. Anderen zu helfen, wenn nötig auch über einen längeren Zeitraum hinweg, hat in unserer Gesellschaft noch immer einen Wert. Ich empfinde das als Freiheit: Wenn man Werte lebt und versucht, anderen diese Werte zu schenken, dann ist man ein freier Mensch.

Aber wenn man jetzt den Medien so glaubt, sind viele Menschen in Angst. Und verlieren dabei offenkundig den Respekt. Macht Ihnen das Sorge?
Schwester Filipa: Ja, selbstverständlich. Menschen haben offenbar überhaupt kein Vertrauen in sich selber und die Gesellschaft. Ich habe in den letzten Zeiten öfters Nachrichten geschaut, das ist bei uns hier im Kloster sonst so nicht üblich, aber der Krieg in der Ukraine lässt mich nicht zur Ruhe kommen. Neulich war da ein Beitrag, in dem es um ökonomische Entwicklungen ging und dass jetzt immer alles teurer wird. Das waren vielleicht fünf Minuten und man gerät in ein totales Tief. Ich habe mir gewünscht, dass jemand sagt: Bitte, halten wir zusammen! Wir haben Frieden und der Frieden wird uns vielleicht auch etwas kosten.

Schiemann: Angst ist bekanntlich ein schlechter Ratgeber. Wir sollten unsere und anderer Ängste zunächst gelten lassen, ernst nehmen und verstehen. Wir dürfen uns von diesen Ängsten aber nicht gefangen nehmen lassen. Nur so können wir die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, denen wir in Deutschland, Europa, in der Welt derzeit begegnen, meistern.

Schwester Filipa und Marko Schiemann beim Spaziergang im Garten von Kloster St. Marienstern in Panschwitz-Kuckau. „Freiheit und Verantwortung sind Geschwister – das dürfen wir nicht vergessen!“, sagt der Politiker. Und die Nonne ergänzt: „Viele Menschen schauen heute zu sehr danach, was etwas kostet. Das sind aber nicht die richtigen Werte! Innere Freiheit ist etwas anderes: Das ist zum Beispiel die Freiheit von Hass und Angst. Davon kann sich jeder selbst befreien.“ (Foto: © Sebastian Winterscheid)

Was sagen Sie Menschen, die in großer Sorge sind?
Schwester Filipa: Neulich habe ich das mit Schulkindern diskutiert und gesagt: Uns geht es so gut, wir haben so viel! Wir haben ein Dach über dem Kopf, wir haben unsere Familien. Wir haben keine Angst, dass jemand von der Arbeit nicht nach Hause kommt. Vielleicht kommen jetzt etwas schwieri- gere Zeiten. Aber wir können uns gegenseitig unterstützen und helfen.

Schiemann: Ich vermisse manchmal die Hoffnung, das ist ja auch ein Wert. Ich sehe aber auch Politik und Verwaltung in der Pflicht, zuverlässig zu sein: Wenn das zugesagte Wort nicht eingehalten wird, treibt das die Menschen auf die Straßen. Das verstehe ich.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Schiemann: Ich glaube, wir alle wissen, dass es eine Katastrophe wird, wenn wir eine wertelose und völlig unverbindliche Gesellschaft bekommen. Deswegen würde ich mir wünschen, dass wir uns alle wieder mehr mit unseren Werten befassen und dabei auf Verbindlichkeit, Zuverlässigkeit und Engagement setzen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Familien wieder mehr unterstützen und stärken müssen. Für mich gilt: Freiheit und Verantwortung sind Geschwister – das dürfen wir nicht vergessen!

Schwester Filipa: Auch ich würde mir wünschen, dass sich die Menschen wieder mehr mit ihren Werten beschäftigen. Viele Menschen schauen heute zu sehr danach, was etwas kostet. Das sind aber nicht die richtigen Werte! Ich würde mir auch wünschen, dass sie schauen, was Freiheit für sie bedeutet. Reisen können, etwas zu besitzen und das zu behalten – das ist vielleicht äußere Freiheit. Aber innere Freiheit ist etwas anderes: Das ist zum Beispiel die Freiheit von Hass und Angst. Davon kann sich jeder selbst befreien.

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