Heimatverein lässt Webstuhl wieder klappern

(Foto: © Holm Helis)

Früher klapperten in Steina bei Kamenz in jedem zweiten Haus die Webstühle. Heute hält der Heimatverein die Erinnerung an das alte Handwerk wach

„Ich erinnere mich gut an die Zeit, als ich Kind war. Wenn man durch den Ort ging, klappterte in fast jedem zweiten Haus ein Webstuhl“, sagt Stefan Paprotzki. Der 75-Jährige ist Vorsitzender des Heimatvereins Niedersteina.

Heute hört man das Klappern nur noch sehr selten. Nur dann, wenn der Heimatverein das vermutlich letzte funktionierende Exemplar in Betrieb nimmt, um ihn interessierten Besuchern vorzuführen. Der Heimatverein hat einigen Aufwand betrieben, um das vier Meter breite Ungetüm wieder zum Laufen zu bekommen.

Inzwischen steht der Webstuhl in einem ehemaligen Klassenzimmer in der alten Schule, die von der Gemeinde zum Vereinshaus umgebaut wurde. Damals wollte ihn keiner mehr haben. Über zehn Jahre stand er ungenutzt rum.

Die Vereinsmitglieder krempelten die Ärmel hoch, zerlegten den Webstuhl und lagerten die Teile erst einmal ein. Denn zunächst musste der Raum im ersten Stock der Schule hergerichtet werden: „Der Webstuhl ist ja schwer, da mussten extra Träger eingezogen werden“, erzählt der Vereins-Chef.

Im Jahr 1800 nahm in Harthau bei Chemnitz die erste Baumwollspinnerei Sachsens ihren Betrieb auf. 1861 hatte das Königreich Sachsen 153 Baumwoll- und 34 Kammergarnspinnereien. Dreißig Jahre später war Sachsen die am stärksten industrialisierte Region in Deutschland. (Foto: © Holm Helis)

Am Anfang sei der Plan gewesen, das gute Stück nur auszustellen und zu zeigen, berichtet Paprotzki weiter. „Dann haben die Vereinsmitglieder es aber immer weiter getrieben, bis er wieder funktionierte“, erzählt er.

Das war 2001. Auch der Raum, in dem der Webstuhl steht, hat sich weiterentwickelt: Aus dem Klassenzimmer ist inzwischen eine richtige Heimwebe-Stube nach traditioneller Art entstanden. An der Wand wärmt ein Kachelofen und historisches Geschirr steht im Schrank.

Im Raum verteilen sich verschiedene Utensilien, die zum Herstellen der Webware nötig waren. Ganz früher war in Steina und Umgebung die Arbeit in den Haushalten klassisch geteilt. Die Frauen webten an den Webstühlen, die Männer gingen in einen der vielen umliegenden Steinbrüche schuften. Beide gemeinsam sicherten den kargen Lebensunterhalt.

Die umliegenden Fabriken aus Pulsnitz und Großröhrsdorf schickten Fuhrwerke und Fahrzeuge, die Webwaren abzuholen. In den Fabriken wurden die Stoffe dann weiterverarbeitet. Während das Steinbruchgewerbe mit der Zeit verschwand, war es in der Region noch bis in die 90er Jahre
weit verbreitet, dass zuhause gewebt wurde.

„Es ist wichtig, dass es Heimatvereine gibt, die die Erinnerung an unsere Geschichte und unsere Herkunft aufrechterhalten. “

Ingo Flemming
CDU-Regionalpolitiker

Wer es sich leisten konnte, betrieb auch schon mal zwei Webstühle. Die standen häufig in gesonderten Webstuben, oft aber auch direkt im Wohnzimmer. „Die Kinder machten dann in der Ecke ihre Hausaufgaben“, berichtet Vereins-Chef Stefan Paprotzki.

Der gelernte Lehrer, der bis zur Rente als Berufsberater gearbeitet hat, ist seit 2013 Mitglied im Heimatverein. Er ist in Niedersteina geboren, war lange Jahre aber nicht im Ort. Zur Rente ist er gemeinsam mit seiner Frau in sein Geburtshauses gezogen. „Ich hatte zwar schon einige Hobbys, aber meine Frau war der Meinung: ‘Irgendwas Sinnvolles musst du zu tun haben‘“, erzählt er lachend. „Dann sind wir beide in den Heimatverein eingetreten.“

Einmal im Monat trifft sich der Heimatverein in einer ehemaligen Gaststätte zum Heimatabend. Da wird dann besprochen, was in den nächsten Monaten so geplant ist und wer welche Aufgaben übernimmt. Der Webstuhl zum Beispiel läuft nicht nur, wenn Schulklassen und Besuchergruppen da sind. Sondern auch zur jährlichen „Kirmes“, die der Verein immer so rund um den 20. Oktober veranstaltet. „Die ersten Sachen werden oft schon ein bis zwei Jahre vorher besprochen“, sagt er.

Die älteren Vereinsmitglieder wissen häufig noch aus der Kindheit, wie der Webstuhl bedient werden muss. „Es wäre natürlich schön, wenn wir jüngere Mitglieder finden, um das Wissen darüber weiterzugeben“, sagt Vereins-Chef Paprotzki (Foto: © Holm Helis)

Zur Kirmes wird das Vereinshaus geöffnet und eine Ausstellung zu einem Thema organisiert. Es gibt Kaffee und selbstgebackenen Kuchen. Bis zu 500 Besucher kommen dann aus dem Ort und den umliegenden Gemeinden. Von 13 bis 18 Uhr wird der Webstuhl vorgeführt. Es passiert aber noch viel mehr: Im Hof der ehemaligen Schule wird auf alte Weise Sauerkraut mit dem Handhobel hergestellt. „Es wird gehobelt und gewürzt, die Leute nehmen dann 5-Kilo-Pakete mit, um es zu Hause zu stampfen“, erzählt Paprotzki.

Nach fünf bis sechs Wochen hat man dann richtiges Sauerkraut. Parallel backen die Vereinsmitglieder im Holzofen Brot, das gleich vor Ort zu Fettbemmen verarbeitet wird. Ein Highlight ist auch der Kalender zur Heimatgeschichte, den Paprotzki jedes Jahr zur Kirmes erstellt und zum Verkauf anbietet. Da sind dann alte Häuser, die Steinbrüche der Umgebung oder Landschaftsmotive zu sehen. „Die gehen weg wie warme Semmel“, schwärmt er.

„Sachsen ist ein Land mit langer Geschichte und einer ausgeprägten regionalen Kultur“, sagt der CDU-Regionalpolitiker Ingo Flemming. „Es ist gut und wichtig, dass es Heimatvereine wie den in Niedersteina gibt, die gerade im ländlichen Raum die Erinnerung an unsere Geschichte und unsere Herkunft aufrechterhalten. Ich bin stolz auf das Engagement dieser Menschen“, so der Politiker weiter.

Der Webstuhl des Heimatvereins Niedersteina steht in der alten Schule. Die Gemeinde hat diese zum Vereinshaus umgebaut (Foto: © Holm Helis)

Kommendes Jahr wird der Heimatverein Niedersteina 30 Jahre alt. Seit einigen Jahren besteht er aus rund 25 Mitgliedern. „Drei bis vier Jüngere sind dabei“, sagt Paprotzki, „aber viele sind über 70 Jahre alt, einige sogar über 80.“

Neue, jüngere Mitglieder zu finden, sei schwer. Viele der Besucher der Kirmes loben das Engagement, erzählt er. Aber als Mitglied einsteigen will niemand so richtig. Zwar gibt es immer wieder Zuzügler im Ort, der weiter wächst. Aber auch da finden sich keine neuen Mitglieder. „Viele kapseln sich ab“, erzählt der Vereins-Chef. „Früher ist man mit dem Rad durch den Ort gefahren und hat mal am Zaun angehalten und geredet, heute fahren die Leute mit dem Auto vorbei in die Großstadt.“

Gerade erst haben die Vereinsmitglieder entschieden, das jährliche Hexenfeuer nicht mehr in der bisher sehr aufwendigen Form durchzuführen. Der Treffpunkt für das Feuer liegt in einer Hanglage. Und der Aufbau der Zelte und vor allem das Aufräumen in der Nacht seien doch sehr beschwerlich.

Der Verein aber hat noch weit mehr Aktivitäten, die hoffentlich noch eine Weile erhalten bleiben: So trifft man sich Ende Januar immer zum gemeinsamen Weihnachtsbaumbrennen mit der Freiwilligen Feuerwehr. Und zu Ostern lädt der Verein zum Osterspaziergang, um Osterwasser zu holen. Das ist eine alte Tradition, in die Frauen des Ortes schweigend zu einer Quelle und zurück gehen, um das Osterwasser zu holen. „Früher haben dann die jungen Männer des Ortes den Frauen aufgelauert und sie erschreckt, dass sie kreischen“, berichtet Paprotzki. Das wird heute allerdings nicht mehr gemacht: „Das wäre in unserem Alter vieleicht etwas unangepasst“, lacht er.

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